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März 2022


Regenfragen


„Liebst du auch den Geruch von Regen?“

Er blickte sie von der Seite an und schwieg. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm wieder eines ihrer Rätsel stellte oder tatsächlich seine Meinung hören wollte. Geistesabwesend strich sie über die Tischdecke und sah zum Fenster hinaus.

„Weißt du, was Bob Marley mal gesagt hat?“

Diesmal schwieg er, weil er ahnte, dass sie gar keine Antwort erwartete.

„Some people feel the rain, others just get wet.“

Manche Menschen fühlen den Regen, während die anderen nur nass werden.

Sie wandte ihm langsam den Kopf zu und sah in seine Augen. Wartete mit einem leichten Lächeln auf seine Reaktion. Ihm fiel nicht viel dazu ein, weshalb er nur kurz die Augenbrauen hob und dann ihrem Blick auswich.

„Weißt du, was das bedeutet?“

„Dass sie alle keinen Schirm dabei haben?!“, lag ihm auf der Zunge, doch er beherrschte sich.

Stattdessen schüttelte er den Kopf und fragte sanft: „Nein, was denn?“

„Dass manche Menschen nass werden, weil sie nur vor dem Regen oder ihren Tränen davonlaufen wollen. Manche aber, die spüren beides mehr. Jeden Tropfen. Jede Träne.“

Er holte tief Luft. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger plausibel fand er ihre Erklärung. Vielmehr glaubte er, dass dem Zitat ein anderer Gedanke zugrunde lag. Aber das konnte er ihr ja jetzt schlecht einfach so sagen.

Verzückt blickte sie auf die regennasse Scheibe, an der die Tropfen in feinen Wasserstraßen herunterliefen. Dann, plötzlich, mit der Ruckartigkeit einer Taube, drehte sie sich wieder zu ihm um.

„Ich glaube, es war Schicksal, dass wir beide heute hierhergekommen sind. Ich kann es fühlen. Ich kann es fühlen, dass dir der Satz genauso viel bedeutet wie mir.“

Er lachte nervös und lehnte sich mit wachsendem Unbehagen in seinem Stuhl zurück.

„Tatsächlich?“, fragte er ungläubig.

„Ich bin mir sicher“, hauchte sie und stützte sich mit den Ellbogen auf der Tischplatte auf.

Irritiert beobachtete er, wie ihre Augen feucht zu glitzern begannen und er überlegte kurz, ob sie ihr Lieblingszitat nur theatralisch untermauern wollte, oder ob sie - wie er schon länger vermutete - nicht doch irgendetwas eingeworfen hatte.

„Du…“

Eine Klingel ertönte und mit bedauernder Miene zog sie ihre Hände in den Schoß zurück.

„Bis später“, murmelte sie und stand auf.

„Äh, ja, bis später, vielleicht“, nickte er und sah ihr erleichtert nach.

Was für eine bescheuerte Idee das auch gewesen war! Was hatte er sich nur dabei gedacht?

Auf jeden Fall wusste er nun, dass solche Dinge und er einfach nicht kompatibel waren und er die Zeit besser daheim auf dem Sofa verbracht hätte.

Und er wusste mit absoluter Sicherheit, dass er am Ende dieses Speed-Date-Abends ihre Nummer ganz gewiss nicht mit nach Hause nehmen würde. 


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